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Das alte Spritzenhaus und der Leierkastenmann

Das alte, abgerissene Spritzenhaus stand auf dem Platz in der Verbindungsstraße, wo der Weg nach dem Hirtenberg führt und zwar unmittelbar an der Straße gegenüber des Grundstückes Beau/Rische/ Puffky. Die großen schweren Torflügel befanden sich an der Nordseite des Hauses. Dieses sehr alte Haus hätte, wenn es sprechen könnte, uns manches Geschehen im Dorfe erzählen können.

Diese Begebenheit fällt in die Zeit nach 1870, in der Gustel Seespeck als Ortsschulze der Gemeinde vorstand. Da noch in dieser Zeit in den Ortsgrenzen aufgegriffene Landstreicher in das Spritzenhaus gesperrt wurden, war auch das alte Spritzenhaus zur Aufnahme derartiger Leute eingerichtet. Es war ein Strohsacklager.
Eines Tages hatte sich frühmorgens ein Drehorgelspieler eingefunden. Mühsam durchzog er den ganzen Tag die Straßen des Dorfes. Am Abend machte er sich hundemüde auf den Weg, um in den Gasthöfen ein Nachtquartier zu finden. Leider vergebens, denn die Gasthöfe waren alle besetzt. Nun sprach er beim Ortsschulzen Seespeck vor, um sich die Erlaubnis zu erbitten, im Spritzenhaus übernachten zu dürfen. Herr Seespeck, ein menschenfreundlicher Mensch, sagte ja, nachdem er ihn die nötigen Verhaltensregeln über Feuer und Licht erteilt hatte.

Hocherfreut machte er sich nun auf den Weg nach dem Spritzenhaus. Hierbei versäumte er nicht, sich beim dicken Nickel (Gastwirt der Linde) seine Selterflasche mit Nordhäuser füllen zu lassen und im Rucksack verschwand ein Stück Wurst. Der Wirt von der Linde war ein sehr starker Mann. Mit seinem Körpergewicht von 220 Pfund (110 Kilogramm), kannten seine Kräfte keine Grenzen. Beim Bierfässer stemmen gewann er manche Wette. In Wilhelm Gelbke hatte er doch einen Gegner gefunden. Gegen ihn verlor er seine hohe Wette.
Von Nickel sagte der Volksmund: "Alle Menschen müssen sterben, nur der dicke Nickel nicht, wer will seine Hose erben, so einen A... hat nicht einer."

Dicht am Spritzenhaus sprach der Leierkastenmann noch einmal bei der Mutter Elste vor um aus deren Bäckerei ein frisches Brot und ein Gläschen Rübensaft zu erstehen (heute das Haus Kulbe). Bevor er nun sein Quartier aufsuchte, brachte er auf dem Platz vor der Bäckerei noch einmal seine Orgel in Stellung und spielte mit dem Lied "Guter Mond du gehst so stille" die müden Ortsbewohner in den Schlaf.

In der Ansicht, nun sein schweres Tageswerk würdig beendet zu haben, hielt er Einzug in sein fürstliches Quartier.
Um sich zurecht zu finden, brannte er ein Licht an. Wohin aber mit der Orgel? In dem Hause war es ihm nicht geheuer! Ratten und Mäuse trieben ihr Unwesen. An die Orgel durfte nichts kommen. Da bemerke er die kleine Spritze, die hinter die große gebunden war. Diese war der geeignete Platz und schon hatte er sie auf der Spritze verstaut. Nun glaubte er in Ruhe schlafen zu können. Stärkte seinen Körper und schaute noch einmal tief in die Flasche. Bald darauf hörte man ihn laut schnarchen.

Es ist Mitternacht, da wird plötzlich die nächtliche Ruhe durch ein Feuersignal gestört. Es treffen auch schon die ersten Leute von der Spritzenmannschaft ein. Im Spritzenhaus wird ein spärliches Licht angebrannt. Schon zieht man die Spritzen vor das Haus. In der Aufregung wird weder der Leierkastenmann noch die Orgel auf der Spritze bemerkt.
In Wimmelburg ist Feuer ausgebrochen. Schon sind die Spritzen fahrbereit und in rasender Fahrt geht es durch das Dorf den Kunstberg hinunter.

Da ruft auf einmal Fritz von vorn: August leier an, die Spritze läuft ja auf die große auf! August leiert an, fast aber im dunkeln den Griff der Orgel und schon schallte es über den Kunsteberg und Wimmelburg: "Jetzt gehts´ nach Lindenau" u.s.w.!
August findet nun Freude am nächtlichen Spiel und leiert die ganze Serie herunter. Mit klingendem Spiel zieht die Wolferöder Feuerwehr in Wimmelburg ein, von diesen bestaunt über das besondere Verhalten ihrer Nachbarn.

Der Orgelmann hat sein Instrument unbeschädigt wieder zurück erhalten.
Dieses Geschehen ist bis in unsere Tage überliefert worden.

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